Story IFAS 2022

Zur Revision bitte - USB begegnet gesetzlichen Pflichten mit KI und Machine Learning

Das USB hat in der Vergangenheit stets darauf hingewirkt, dass die Qualität der Codierung hoch und die Fakturierung der Fälle korrekt ist. Dennoch kommt es dem Spital nun zugute, was Digitalisierung, künstliche Intelligenz und sehr engagierte Revisionsprojekte bewirkt haben.

Die Corona-Pandemie wirft nicht nur Fragen zur besseren Organisation von Gesundheit, zum Beispiel nach möglichen Impfkonzepten, der Anzahl der betreubaren Intensivbetten oder zur Nachverfolgung  infizierter Personen auf, sondern sie führt unweigerlich zu der Frage, wie viel Pandemie können wir uns leisten. Und zwar nicht nur mit Blick auf die Wirtschaft gesamthaft, sondern auch in Bezug auf die zentralen Gesundheitsversorger im Land, nämlich die Spitäler. 

Die Fragen: „Wer trägt die durch die Behandlung von Corona-Patienten verursachten Mehrkosten?“ oder „Wie werden Erlösausfälle kompensiert, weil Intensivbetten frei gehalten wurden und elektive Eingriffe nicht durchgeführt werden konnten?“ weisen darauf hin, dass Mehrkosten und Ertragsausfälle grosse Löcher in die Kassen der Spitäler gerissen haben. In einer Studie von SpitalBenchmark und PwC Schweiz, die bereits im Mai 2020 durchgeführt wurde, konnte aufgezeigt werden, dass der für die Spitälern durch die COVID-19-Massnahmen entstandene Schaden zwischen 1,7 Milliarden und 2,6 Milliarden Franken liegt. Es wurden die Daten von 93 Einrichtungen ausgewertet.

Gerade in dieser Situation steigt die Bedeutung nochmals, restlos alle Erlöse korrekt zu beziffern und Leistungen vollständig und komplett abzurechen. Das Universitätsspital Basel hat in der Vergangenheit stets darauf hingewirkt, dass die Qualität der Codierung hoch und die Fakturierung der Fälle korrekt ist. Dennoch kommt es dem Spital nun zugute, was Digitalisierung, künstliche Intelligenz und sehr engagierte Revisionsprojekte bewirkt haben. 

Dank rigidem Kostenmanagement und verhaltenem Wachstum konnte das Universitätsspital Basel für 2019 ein gutes finanzielles Ergebnis erreichen: Der konsolidierte Umsatz stieg um 4.3% auf CHF 1’168.3 Mio. (Vorjahr CHF 1’120.3 Mio.); der konsolidierte Jahresgewinn erhöhte sich deutlich auf CHF 19.9 Mio. (Vorjahr CHF 6.7 Mio.). Das war im Jahr vor Corona. Dazu beigetragen hat sicher auch die hohe Qualität bei der medizinischen Codierung. Und genau diese hat das Spital auch im Corona-Jahr 2020 wieder akribisch überprüft. Das Besondere an dem Projekt war der gleichzeitige Einsatz von Software, die regelbasiert jeglichen medizinischen Text prüft, und Methoden des Machine Learnings, die in der Lage sind individuelle Dokumentationsstile zu erfassen und daraus zu lernen. 

Das perfekte Match: KI und Machine Learning

Zum Hintergrund: Im USB sind 19 professionelle CodiererInnen damit betraut, die Fälle auf Basis der Dokumentation in der gesamten, digitalen Krankengeschichte zu codieren und zur Abrechnung zu bringen. Sie alle haben zuvor als Ärztin, Arzt oder Pflegefachperson gearbeitet und sind sowohl mit der medizinischen, als auch pflegerischen Dokumentation bestens vertraut. In den jährlichen mandatorischen Revisionen für die Versicherer und Kantone übererfüllt das Spital seine Pflicht, indem es 300 statt der geforderten 100 Fälle betrachtet und auf Fehler prüfen lässt. Verantwortliche für die medizinische Codierung ist Julie Anne Jüdt. Die Ärztin und medizinische Codiererin arbeitet zusammen mit ihrem Kollegen Dr. med. Christian Abshagen, der heutige Leiter Fachstelle Nachhaltig hat zum Zeitpunkt des Projektes als Abteilungsleiter das Medizincontrolling verantwortet. „Wir machen uns die zunehmenden Prüfungen der Kostenträger zu nutzen, indem wir Schlussfolgerungen für unsere Fakturierung und die Dokumentation in der Krankengeschichte ableiten. Wir sind da schon sehr gut, doch es gibt immer Luft nach oben,“ beschreibt Dr. Christian Abshagen den Anspruch an Qualität am USB. „Und die zunehmende Digitalisierung spielt uns erfreulich in die Karten,“ ergänzt Julie Anne Jüdt. „Weil uns klar war, dass Corona ein Loch in die Kassen reißen würde, haben wir unsere jüngste interne Revision für die Fälle aus 2019 zu einem Projekt gemacht, in dem wir erneut Verfahren der KI und Machine Learning getestet haben. Unser Ziel war es, die Stellen in der medizinischen Dokumentation zu identifizieren, bei denen es Auffälligkeiten im Abgleich zur vorliegenden DRG-Codierung gab“, so Jüdt weiter. Das Projekt startete während des ersten Lockdowns im März 2020. Zunächst wurden Daten und Serverkapazitäten im USB bereitgestellt, danach folgte das Rechnen erster Modelle. Die ersten Ergebnisse gab es im Juli 2020. In einem iterativen Prozess konnte die Qualität der Berechnungen weiter verbessert werden, sodass im September verwertbare Ergebnisse in Form von Codiervorschlägen zu den bereits abgeschlossenen 2019ern Fällen vorlagen. Diese waren Ende Oktober abgearbeitet. Als Ergebnis formuliert Dr. Abshagen zwei zentrale Erkenntnisse: „Wir haben eine Validierung unserer Dokumentations- und Codierqualität bekommen und die war sehr zufriedenstellend. Und wir haben das Potenzial in der zunehmenden Digitalisierung wirklich gesehen. Wir haben tatsächlich erlebt, wie regelbasierte KI und Machine Learning Lösungen zusammenarbeiten und die Erkenntnis gewonnen, dass unsere Codierer die Lösung ID CCC λ sogar codierbegleitend nutzen werden.“

Schleier gehoben: Black Box „Codierung“ wird transparent 

Doch zurück zum Anfang: Für eine schnelle und sichere Dokumentation nutzt das USB seit Einführung des SwissDRG-Systems in der Schweiz die Codier-Software ID IDACOS® der ID Suisse AG. Nachdem das Spital in einem Revisionsprojekt mit der Firma DXC in 2019, einem Experten für Machine Learning, zusammengearbeitet hatte, wurde der Wunsche laut, schnell und einfach zu finden, an welcher Stelle in der Fall-Dokumentation ein Fehler vorliegt. Julie Anne Jüdt erläutert: „Wenn die KI sagt, „Da kannst Du noch Code XY dazugeben“, dann müssen wir prüfen, ob dieser Vorschlag korrekt ist und wo genau aus der Krankengeschichte das herkommt. Dafür mussten wir in der Vergangenheit händisch suchen. Das ist mühsam und hat meinem Team und mich viel Zeit gekostet. Wir wussten, dass die Firma ID mit ihrem ID clinical context coding ein Produkt anbietet, das in der Texterkennung sehr stark ist. Das wollten wir testen, um herauszufinden, ob es unser Problem lösen würde.“ 

Tatsächlich hatte die Firma ID Suisse AG bereits in Kooperation mit DXC Technology eine Lösung entwickelt, die regelbasierte KI und Machine Learning miteinander kombiniert. ID CCC λ (lambda) heißt diese Weiterentwicklung des bekannten ID CCC. In einem Proof of Concept im Rahmen des Revisionsprojekt 2020 wurde diese Lösung nun von den CodiererInnen des USB auf Herz und Nieren geprüft. „Wir haben schon früh das Bestreben gehabt, blinde Flecken in der Dokumentation und Codierung zu finden. Mit ID CCC λ wurden die blinden Flecken im wahrsten Sinne des Wortes „gehighlightet“ schmunzelt Dr. Abshagen. „Eine einfache Nachvollziehbarkeit der Quelle war damit sofort gegeben und die Codier-Empfehlung der KI konnte nachgeprüft werden.“ Seine Kollegin Julie Anne Jüdt ergänzt: „Wir hatten nicht nur die Erwartungen Erlöse zu vervollständigen und zu sichern. Es ging mir auch darum zu zeigen, wie hoch die Qualität der pflegerischen und medizinischen Dokumentation und der Arbeit der CodiererInnen ist. Und es ist einfach schön die Bestätigung zu erhalten, dass wir eine gute Datengrundlage haben und gut arbeiten. Wir wissen nun, dass unsere Krankengeschichte gut strukturiert ist und die Codierdaten, die wir daraus ableiten bereits sehr vollständig sind.“ Dr. Abshagen ergänzt: „Und schlussendlich war das Projekt aufgrund der zwar seltenen, aber dank ID CCC λ dennoch aufgespürten Versäumnisse auch ein erfreulicher finanzieller Erfolg. Auch wenn die uns durch Corona entstandenen Defizite hiermit natürlich nicht Weise aufgefangen werden können.“

Kontinuierliche Unterstützung bei der Codierprüfung

Weil es immer mehr Codes und spezifische Reglungen gibt, aber auch weil der Anspruch auf Revisionssicherheit immens gestiegen ist, werden J. Jüdt und Dr. Abshagen an der konsequenten Revision ihrer Arbeit festhalten. Und sie haben beschlossen, die KI bereits in den Codierprozess einzubinden. „Wir haben erlebt, dass die getestete Lösung den Codierer entlastet. Sie bringt ihm Zeitersparnis und die Sicherheit, dass eine Leistung oder Diagnose auch wirklich dokumentiert vorliegt und nicht ein falsches Ergebnis einer Interpretation ist“, erläutert Jüdt die Entscheidung für den codierbegleitenden Einsatz der Software. Auch im Kostenträgerprüfprozess sieht sie Potenzial für die neue Lösung. Zwar sind die bei einer DRG-Prüfung angeforderten Unterlagen wie Austritts- und OP-Bericht schnell zusammengestellt, doch gibt es zusätzliche Quellen, die für die Mitarbeiter aufwändig zu finden sind. Mit der ID CCC Belegstellenanalyse kann man diese Quellen schnell identifizieren und die Dokumente an die Kostenträger weiterleiten. „Am Ende bleibt uns noch eins zu sagen. KI hin oder her. Dass wir diesen Erfolg erleben durften, verdanken wir den Menschen, die an diesem Projekt beteiligt waren. Ohne die sehr gute Zusammenarbeit mit der ICT bei uns im Haus, wäre das nicht so super gelaufen. Und auch die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der beteiligten Firmen hat viel Freude bereitet. Wir schätzen die Offenheit, das Mitdenken und die Erreichbarkeit,“ lobt Dr. Abshagen. Julie Anne Jüdt ergänzt: „ In so einem Projekt ist die Vertraulichkeit auch sehr wichtig. Wir haben ausschließlich auf unseren Servern gearbeitet. Und die Anforderungen an Datenschutz gemeinsam mit unserem Rechtsdienst erfolgreich gewährleistet.“

Steigende Komplexität und zunehmende Prüfungen führen zu neuen Wegen

Auch die Spitäler tragen über das Antragsverfahren dazu bei, dass die SwissDRG-Fallpauschalen weiterentwickelt werden. Makaber wäre es zu sagen, dass sie damit neben einer aufwandsgerechten Ausdifferenzierung der Leistungen auch den zunehmenden Bürokratieaufwand fördern. „Wir müssen damit leben, dass wir ein DRG-Tarif-Modell haben, dass immer komplexer, undurchsichtiger und bürokratischer wird“, stellt Julie Anne Jüdt, kritisch fest. „Deshalb sind wir aktiv dabei zu eruieren, welche Entlastung Methoden der KI und des Machine Learning uns bringen und freuen uns, dass wir mit ID CCC λ eine sehr erfolgreiche Lösung gefunden haben.“