Im Gespräch mit drei Chefärzten des Ostschweizer Kinderspitals. Roger Lauener, Pascal Müller und Thomas Krebs erläutern, was «kindergerechte Spitzenmedizin» bedeutet.
Beim Stichwort Kinderspital denken viele Leute an Plüschtiere und Spielecken. Doch die hochspezialisierte Kindermedizin muss weit mehr bieten. «Selbstverständlich ist es unser Anspruch, kinder- und familienfreundlich zu sein. Doch das allein genügt nicht», betont Roger Lauener, seit zwölf Jahren Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am OKS und fügt an: «Wenn eine Familie mit ihrem kranken Kind zu uns kommt, muss sie darauf vertrauen können, dass ihr Kind im Ostschweizer Kinderspital die bestmögliche Behandlung erhält.»
Eine Behandlung auf höchster medizinischer Versorgungsstufe bedeutet auch, dass entsprechende Spezialisten und Spezialistinnen jederzeit bereitstehen - unterstützt durch die modernsten, medizinischen Verfahren, Geräte und Therapien. Es erfordert ausserdem, dass Ärztinnen und Ärzte am Puls der medizinischen Forschung bleiben, sich ständig weiterbilden und selbst Nachwuchsleute ausbilden. «Kinder sind eben keine kleinen Erwachsenen. Kinder funktionieren in allen Belangen ganz anders», erklärt Lauener weiter. Jede Krankheit im Kindesalter bedeute einen Unterbruch in einer vulnerablen Phase, deshalb ist die zentrale Aufgabe, Krankheiten so zu behandeln, dass eine gesunde Entwicklung möglich ist. Es gehe darum, das Kind medizinisch so zu betreuen, dass es von seiner Krankheit möglichst wenig eingeschränkt werde. Ein anderer wesentlicher Faktor für eine optimale Heilung ist die Unterstützung durch Familie und Angehörige. «Die familienorientierte Behandlung wird am OKS grossgeschrieben. Das heisst, Familienmitglieder werden aktiv in den Behandlungsprozess miteinbezogen, besonders im Verlauf von chronischen Erkrankungen», so der Mediziner. Diese personellen und infrastrukturellen Leistungen stets bereit zu halten, stellt für das Spital eine grosse Herausforderung dar, auch finanziell. «Nur dank der Unterstützung von Gesellschaft und Politik können wir diese komplexe Versorgung aufrechterhalten», fasst Lauener zusammen.
Roger Lauener, Chefarzt Kinder- und Jugendmedizin «Kinder funktionieren in allen Belangen ganz anders»
Auch der Fachbereich von Pascal Müller, Chefarzt Adoleszentenmedizin und Pädiatrische Psychosomatik, hat sich zu einem hochspezialisierten Zentrum von überregionaler Bedeutung entwickelt. In der Adoleszentenmedizin (von zirka zwölf Jahren bis Abschluss der beruflichen Ausbildung mit 20 bis 25 Jahren) hat insbesondere die Bedeutung der Psychosomatik beziehungsweise des bio-psycho-sozialen Verständnisses, zugenommen. «Wir haben schon vor dem Lockdown eine Zunahme von Krisenfällen verzeichnet, seither hat der Schweregrad der neuen Fälle deutlich zugenommen, etwa bei der Magersucht», so Müller. Und weiter: «Bei Jugendlichen, die schon vor Covid unter Angst oder Zwängen litten, verschärften sich diese.» Das Kinderschutzzentrum, das auch unter Müllers Leitung steht, wurde vor 20 Jahren ins Leben gerufen. Es verdeutlicht anhand steigender Fallzahlen die Zunahme von belastenden Lebenssituationen für Kinder und Jugendliche. «Gewalt prägt den Alltag von Kindern weit stärker als angenommen. Ob körperlich, sexuell oder seelisch – Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen hat viele Gesichter.»
Für Müller ist auch der Übergang von der Adoleszenten- zur Erwachsenenmedizin ein zentrales Thema. «Seit den 90er-Jahren kennen wir am OKS keine starre Altersgrenzen bei Patienten mit chronischen Erkrankungen. Es gehe darum, diesen Übergang, die sogenannte Transitionsmedizin, zusammen mit dem Kantonsspital St. Gallen (KSSG) individuell und optimal zu gestalten – diese Zusammenarbeit könne mit dem Umzug auf das Areal des KSSG intensiviert werden.
Pascal Müller, Chefarzt Adoleszentenmedizin und Pädiatrische Psychosomatik «Gewalt prägt den Alltag von Kindern und Jugendlichen weit stärker als angenommen»
«Wir haben im Gegensatz zur Erwachsenenmedizin schon lange eine vernetzte Medizin, die nicht vor Kantons- oder Landesgrenzen haltmacht», sagt Thomas Krebs, seit elf Jahren Chefarzt Kinder- und Jugendchirurgie am OKS. Darin sieht er ein entscheidender Vorteil, um sich gegen Grossregionen wie Zürich behaupten zu können: «Gerade in der Kinderchirurgie, die auch seltene und komplexe Krankheitsbilder behandelt, braucht es überregionale Konzepte». Im Gegensatz zu früher sei es heute unmöglich, dass ein einziger Kinderchirurg alle Eingriffe vornehme – hierfür spezialisieren sich die kinderchirurgischen Fachärzte weiter, und hier werden in Ausnahmefällen dann externe Fachkräfte aus anderen chirurgischen Disziplinen beigezogen. Umgekehrt werden Spezialisten des OKS auch für komplexe Behandlungen innerhalb der Schweiz und im grenznahen Ausland beigezogen. «Wir haben diesen Netzwerkgedanken schon lange umgesetzt.»
Dank des medizinischen Fortschritts ist heute auch in der Neugeborenenmedizin sehr vieles möglich. Hier hat das OKS in die neusten Verfahren für minimalinvasive OP-Techniken (Schlüssellochchirurgie) investiert. Ausserdem wurden verschiedene Leistungsaufträge im Bereich der spezialisierten und hochspezialisierten Medizin (HSM) erneuert oder ausgeweitet. «Dadurch konnte das Leistungsspektrum erheblich erweitert werden», sagt Krebs. Zudem wurde auch die Kooperation zwischen dem Fachbereich Kinder- und Jugendchirurgie am OKS und dem Landeskrankenhaus Feldkirch und der Oberschwabenklinik Ravensburg vertraglich ausgestaltet.
Thomas Krebs, Chefarzt Kinder- und Jugendchirurgie «Wir haben schon lange eine vernetzte Medizin, die nicht vor Grenzen haltmacht»
Text Zusammengefasst und aktualisiert aus dem Artikel aus Fokus Gesundheit, Ausgabe Oktober 8/2020 | @leaderdigital.ch
Bilder @leaderdigital.ch und Ostschweizer Kinderspital